Veröffentlicht am Mai 11, 2024

Zusammenfassend:

  • Die Abhängigkeit von globalen Lieferketten macht über 90 % der Kommunen verwundbar für Versorgungsengpässe.
  • Wahre Resilienz entsteht nicht durch reaktive Pläne, sondern durch den proaktiven Aufbau eines regionalen Versorgungsnetzwerks.
  • Die strategische Kombination aus gezielter Eigenproduktion und regionalen Kooperationen schafft ein robustes Versorgungssystem.
  • Die Aktivierung lokaler Produzenten durch finanzielle Anreize und Abnahmegarantien ist der entscheidende Hebel.

Die Erfahrung der letzten Jahre hat eine unbequeme Wahrheit offengelegt: Die Stabilität unserer lokalen Versorgung ist eine Illusion. Leere Regale, fehlende Masken oder unterbrochene Lieferketten für kritische Bauteile haben gezeigt, wie fragil die globalisierten Systeme sind, auf die wir uns verlassen. Viele Kommunen haben daraufhin ihre Katastrophenschutzpläne aktualisiert oder Arbeitsgruppen gebildet. Man vertraut auf Notfallpläne und hofft, dass es beim nächsten Mal besser läuft. Doch diese reaktive Haltung ist ein fundamentaler strategischer Fehler.

Die meisten Ansätze kratzen nur an der Oberfläche. Sie zielen darauf ab, eine Krise zu *managen*, anstatt die Strukturen zu schaffen, die eine Krise von vornherein abfedern. Doch was wäre, wenn die wahre Lösung nicht in reaktiven Plänen, sondern im proaktiven Aufbau eines operativen Resilienz-Ökosystems liegt? Ein System, das nicht auf Abschottung, sondern auf strategischer Diversifizierung, lokaler Produktionsaktivierung und intelligenten Kooperationen basiert. Es geht darum, Abhängigkeiten nicht zu eliminieren, sondern sie bewusst zu gestalten und zu kontrollieren.

Dieser Leitfaden verfolgt genau diesen Ansatz. Er ist für Entscheidungsträger konzipiert, die verstehen, dass Versorgungssicherheit kein Verwaltungsakt, sondern eine strategische Gestaltungsaufgabe ist. Wir analysieren zuerst die verborgenen Schwachstellen, die fast jede Kommune betreffen. Anschließend stellen wir einen konkreten Fahrplan vor, um ein robustes regionales Versorgungsnetzwerk aufzubauen, lokale Produzenten zu reaktivieren und nachhaltige Wirtschaftsmodelle zu etablieren, die Ihre Region nicht nur sicherer, sondern auch prosperierender machen.

Die folgenden Abschnitte bieten Ihnen eine detaillierte Roadmap, um von der reinen Krisenreaktion zur proaktiven Resilienzgestaltung überzugehen. Entdecken Sie die konkreten Schritte, strategischen Entscheidungen und bewährten Modelle, um die Versorgungssicherheit Ihrer Kommune nachhaltig zu stärken.

Warum 90% der Kommunen bei Versorgungsengpässen schutzlos sind – und welche Strukturen fehlen?

Die schockierende Realität ist, dass die meisten Kommunen auf die nächste große Lieferkettenkrise nicht vorbereitet sind. Effizienzdenken und Kostendruck haben zu hochgradig optimierten, aber extrem fragilen Systemen geführt. Eine aktuelle Studie des vhw Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. bestätigt diese Lücke schonungslos: Es zeigt sich, dass nur 10 % der deutschen Kommunen über konkrete Resilienzstrategien verfügen, die über den klassischen Katastrophenschutz hinausgehen. Die Verwundbarkeit ist also kein Gefühl, sondern ein strukturelles Defizit.

Diese Schutzlosigkeit wurzelt in vier zentralen Strukturlücken, die in der kommunalen Praxis weit verbreitet sind:

  • Fehlende Vulnerabilitäts-Kartierung: Nur wenige Verwaltungen wissen genau, wo ihre kritischen Abhängigkeiten liegen. Welche Produkte, Ersatzteile oder Vorprodukte kommen aus nur einer Quelle oder einer einzigen Weltregion? Ohne diese systematische Analyse agieren Kommunen im Blindflug.
  • Mangel an strategischer Redundanz: Im Streben nach maximaler Effizienz wurden Puffer und alternative Versorgungswege abgebaut. Ein einziger Ausfall in der Kette kann so das gesamte System lahmlegen. Redundanz wird als Kostenfaktor statt als Versicherungspolice gesehen.
  • Erodierte lokale Kompetenzen: Die Fähigkeit zur lokalen Reparatur und Produktion wurde über Jahrzehnte vernachlässigt. Das Wissen und die Infrastruktur, um kritische Güter vor Ort herzustellen oder zu warten, sind oft nicht mehr vorhanden.
  • Unbekannte Schwachstellen bei Zwischenprodukten: Während die Versorgung mit Endprodukten wie Lebensmitteln oft im Fokus steht, werden Abhängigkeiten bei unscheinbaren, aber essenziellen Zwischenprodukten und Ersatzteilen (z.B. spezielle Schrauben, Filter, chemische Grundstoffe) systematisch übersehen.

Die Summe dieser Defizite schafft eine trügerische Sicherheit. Solange die globalen Räderwerke laufen, scheint alles in Ordnung. Doch bei der nächsten Erschütterung wird sich zeigen, welche Kommune ihre Hausaufgaben gemacht hat und welche unvorbereitet in die Krise schlittert.

Wie Sie ein regionales Versorgungsnetzwerk in 12 Monaten aufbauen – Schritt für Schritt?

Der Aufbau eines robusten Versorgungsnetzwerks ist kein abstraktes Ziel, sondern ein konkretes Projekt, das in überschaubaren Schritten realisiert werden kann. Anstatt auf eine große, perfekte Lösung zu warten, ist ein agiler, phasenweiser Ansatz der Schlüssel zum Erfolg. Ein Zeitrahmen von 12 Monaten ist ambitioniert, aber realistisch, um von der Analyse zur operativen Umsetzung zu gelangen. Der Prozess lässt sich in vier Quartale unterteilen, die aufeinander aufbauen.

Zeitstrahl mit vier Quartalen zeigt den schrittweisen Aufbau eines regionalen Versorgungsnetzwerks

Wie dieser Zeitstrahl symbolisiert, ist der Aufbau ein organischer Prozess. Er beginnt mit der Analyse und endet mit einem lebendigen, optimierten Ökosystem:

  • Quartal 1: Analyse & Kartierung (Monate 1-3). In dieser Phase geht es darum, die bereits erwähnten blinden Flecken zu beseitigen. Führen Sie eine detaillierte Vulnerabilitätsanalyse durch: Welche kritischen Güter sind abhängig? Welche lokalen und regionalen Produzenten, Landwirte und Dienstleister gibt es bereits? Erstellen Sie eine digitale Karte des Ist-Zustands.
  • Quartal 2: Netzwerk-Initiierung & Partnerschaften (Monate 4-6). Bringen Sie die identifizierten Akteure an einen Tisch. Organisieren Sie Workshops und runde Tische. Das Ziel ist es, Vertrauen aufzubauen und gemeinsame Interessen zu identifizieren. Hier werden die Grundlagen für Kooperationsverträge gelegt. Ein inspirierendes Beispiel ist die Stadt Marburg, die 2023 eine europaweite Konferenz organisierte, um Akteure für nachhaltige Lebensmittelsysteme zu vernetzen und konkrete Kooperationen anzustoßen.
  • Quartal 3: Plattform & Pilotprojekte (Monate 7-9). Institutionalisieren Sie das Netzwerk. Dies kann durch eine digitale Plattform zur Koordination von Angebot und Nachfrage oder durch die Gründung einer regionalen Versorgungsagentur geschehen. Starten Sie 2-3 konkrete Pilotprojektes (z.B. Versorgung der Schulkantinen mit regionalen Lebensmitteln), um schnelle Erfolge zu zeigen.
  • Quartal 4: Skalierung & Optimierung (Monate 10-12). Werten Sie die Pilotprojekte aus und übertragen Sie die erfolgreichen Modelle auf andere Sektoren. Etablieren Sie feste Verträge und Abnahmegarantien. Beginnen Sie mit der Durchführung erster Stresstests, um die Resilienz des neuen Netzwerks zu prüfen und kontinuierlich zu verbessern.

Dieser strukturierte Fahrplan macht aus der vagen Idee „mehr Regionalität“ ein managebares Projekt mit klaren Meilensteinen und Verantwortlichkeiten. Er verwandelt Betroffenheit in proaktives Handeln.

Städtische Eigenproduktion oder regionale Kooperationen – welcher Weg sichert die Versorgung besser?

Bei der strategischen Neuausrichtung der Versorgungssicherheit stehen Kommunen oft vor einer Gretchenfrage: Soll man auf maximale Kontrolle durch städtische Eigenproduktion setzen oder die Flexibilität und Risikostreuung regionaler Kooperationen bevorzugen? Die Antwort lautet: Es ist kein „Entweder-oder“, sondern ein „Sowohl-als-auch“. Die intelligenteste Strategie kombiniert beide Ansätze basierend auf der Art des kritischen Gutes.

Einige Güter und Dienstleistungen, insbesondere im Bereich der kritischen Infrastruktur (KRITIS), eignen sich hervorragend für die Eigenproduktion. Hier stehen Kontrolle und sofortige Verfügbarkeit im Vordergrund. Für andere, insbesondere skalierbare und flächenintensive Produkte, sind regionale Kooperationen der überlegene Weg. Die folgende Analyse, basierend auf einer Studie des Wuppertal Instituts zu nachhaltigen Lieferketten, zeigt die Stärken und Schwächen beider Modelle.

Vergleich: Städtische Eigenproduktion vs. Regionale Kooperationen
Kriterium Städtische Eigenproduktion Regionale Kooperationen
Kontrolle Maximale Kontrolle Geteilte Verantwortung
Risiko Konzentriertes Risiko Diversifiziertes Risiko
Investitionsbedarf Hoch (Infrastruktur) Mittel (Koordination)
Geeignet für Trinkwasser, Notstrom, 3D-Druck Lebensmittel, Getreide, Großproduktion
Flexibilität Begrenzt Hoch

Die Tabelle macht deutlich, dass eine diversifizierte Strategie am sinnvollsten ist. Eine Kommune könnte beispielsweise ihre Wasser- und Notstromversorgung in eigener Hand behalten (Eigenproduktion), um maximale Kontrolle zu gewährleisten. Gleichzeitig könnte sie für die Lebensmittelversorgung ein robustes Netzwerk mit Landwirten aus der umliegenden Region aufbauen (regionale Kooperation), um von deren Expertise zu profitieren und das Risiko von Ernteausfällen auf mehrere Schultern zu verteilen. Die Kunst liegt darin, ein Portfolio an Versorgungsstrategien zu entwickeln, das für jedes kritische Gut den optimalen Mix aus Kontrolle, Risiko und Effizienz findet.

Diese Perspektive wird auch von Experten geteilt. Wie das Wuppertal Institut betont, ist die alleinige Fokussierung auf lokale Kreisläufe nicht ausreichend:

So wichtig und richtig die Entwicklung eigener regionalwirtschaftlicher und kreislauforientierter Ansätze im Kern ist, so wenig resilient ist es, wenn deren Entwicklung nicht unter globaler und nachhaltiger Perspektive erfolgt.

– Wuppertal Institut, Studie zu nachhaltigen Lieferketten

Ein isolierter Ansatz, egal ob Eigenproduktion oder Kooperation, ist selbst eine Form von Risiko. Die wahre Stärke entsteht aus einem intelligent vernetzten System, das die Vorteile beider Welten kombiniert.

So aktivieren Sie lokale Produzenten, um kritische Güter innerhalb von 50 km bereitzustellen

Die besten regionalen Netzwerke bleiben wirkungslos, wenn die Produzenten vor Ort nicht die Kapazitäten, die Sicherheit oder die Anreize haben, um zu investieren und zu liefern. Die reine Aufforderung, „mehr regional zu produzieren“, verhallt ungehört, wenn sie nicht mit konkreten, wirtschaftlich tragfähigen Mechanismen unterfüttert wird. Als Kommune haben Sie jedoch schlagkräftige Instrumente, um aus potenziellen Partnern aktive Versorger zu machen. Dabei geht es nicht um Subventionen mit der Gießkanne, sondern um intelligente Anreize, die Investitionen auslösen. Die Bundesregierung erkennt diese Notwendigkeit an und stellt für die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie bis zu 260 Millionen Euro bereit – Gelder, die auch für den Aufbau resilienter regionaler Strukturen genutzt werden können.

Um diese Mittel wirksam einzusetzen und lokale Produzenten zu aktivieren, haben sich vier Hebel als besonders wirksam erwiesen:

  • Einführung kommunaler Resilienz-Bonds: Schaffen Sie ein gezieltes Finanzierungsinstrument, das Bürgern und lokalen Investoren ermöglicht, direkt in den Aufbau kritischer Produktionsstätten zu investieren. Dies schafft nicht nur Kapital, sondern auch Identifikation und gesellschaftlichen Rückhalt.
  • Garantierte Abnahmemengen: Bieten Sie Produzenten langfristige Verträge (z.B. über 5-10 Jahre) für die Belieferung öffentlicher Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser oder Verwaltungsgebäude. Diese wirtschaftliche Planungssicherheit ist der stärkste denkbare Anreiz für Investitionen in neue Maschinen oder den Ausbau von Kapazitäten.
  • Schaffung von Gründerzentren für systemrelevante Produktion: Stellen Sie gezielt günstige Gewerbeflächen, eine geteilte Infrastruktur und professionelle Beratung für Start-ups und Betriebe bereit, die sich auf die Herstellung kritischer Güter spezialisieren (z.B. medizinisches Verbrauchsmaterial, Ersatzteile via 3D-Druck).
  • Einrichtung eines „One-Stop-Shops“: Bündeln Sie alle administrativen Prozesse. Ein zentraler Ansprechpartner in der Verwaltung, der lokale Versorger durch alle Genehmigungsverfahren und Förderanträge begleitet, senkt die bürokratischen Hürden drastisch und signalisiert, dass die Kommune es ernst meint.

Ihr Aktionsplan zur Aktivierung lokaler Produzenten

  1. Kontaktpunkte identifizieren: Listen Sie alle potenziellen Produzenten, Landwirte und Handwerksbetriebe im definierten Radius (z.B. 50 km) auf. Wer könnte kritische Güter herstellen?
  2. Bestandsaufnahme durchführen: Erfassen Sie die aktuellen Produktionskapazitäten und Kompetenzen. Welche Güter werden bereits produziert? Wo gibt es ungenutztes Potenzial?
  3. Kohärenz prüfen: Gleichen Sie die Liste der benötigten kritischen Güter mit den vorhandenen lokalen Kapazitäten ab. Wo sind die größten Lücken und wo die größten Chancen?
  4. Anreize definieren: Sprechen Sie direkt mit den vielversprechendsten Produzenten. Was benötigen sie, um zu investieren? Langfristige Verträge, Finanzierungshilfen, schnellere Genehmigungen?
  5. Integrationsplan erstellen: Schließen Sie erste Pilotverträge mit 2-3 lokalen Produzenten. Setzen Sie konkrete Abnahmegarantien fest und kommunizieren Sie diese Erfolgsgeschichten, um weitere Partner zu gewinnen.

Durch die Kombination dieser Hebel wandelt sich die Rolle der Kommune vom passiven Verwalter zum aktiven Ökosystem-Architekten. Sie schaffen ein Umfeld, in dem sich lokale Produktion wieder lohnt – und das ist die solideste Grundlage für echte Versorgungssicherheit.

Wann Ihre Kommune handeln muss – die 4 Phasen zum Aufbau lokaler Versorgungssicherheit

Der Aufbau kommunaler Versorgungssicherheit ist kein Sprint, sondern ein Marathon, der sich in klar definierte Phasen gliedert. Jede Phase hat spezifische Ziele und erfordert unterschiedliche Maßnahmen. Dieses Phasenmodell hilft, den Prozess zu strukturieren, Prioritäten zu setzen und den Fortschritt messbar zu machen. Es geht darum, von einer reaktiven Haltung zu einer proaktiven und lernenden Organisation zu werden, die sich kontinuierlich an neue Herausforderungen anpasst.

Makroaufnahme von vier ineinander greifenden Zahnrädern symbolisiert die vier Phasen des systematischen Aufbaus kommunaler Resilienz

Die vier Phasen greifen ineinander wie Zahnräder und bauen ein robustes System auf. Es ist entscheidend, keine Phase zu überspringen, da jede die Grundlage für die nächste legt:

  • Phase 1: Analyse & Trigger-Definition. Dies ist die Phase der Selbsterkenntnis. Hier werden, wie zuvor beschrieben, Vulnerabilitäten analysiert. Entscheidend ist die Definition von datenbasierten Schwellenwerten (Triggern). Beispielsweise könnte ein Trigger ausgelöst werden, wenn der Importanteil eines kritischen Gutes aus einem einzigen Land 60 % übersteigt. Diese Trigger objektivieren die Notwendigkeit zum Handeln.
  • Phase 2: Pilotierung & Ökosystem-Aufbau. In dieser Phase wird die Theorie in die Praxis überführt. Statt alles auf einmal zu wollen, konzentriert man sich auf 2-3 Leuchtturmprojekte (z.B. regionale Lebensmittel für Kitas, Aufbau einer lokalen 3D-Druck-Fertigung für Ersatzteile). Diese Projekte demonstrieren die Machbarkeit, schaffen erste Erfolge und bilden den Kern des neuen Versorgungsökosystems.
  • Phase 3: Skalierung & Systemische Integration. Die Lehren aus den Pilotprojekten werden nun genutzt, um die erfolgreichen Modelle auf andere Sektoren zu übertragen. Die regionalen Versorgungsstrukturen werden fest in die regulären Prozesse der Stadtplanung, der öffentlichen Beschaffung und der Wirtschaftsförderung integriert. Resilienz wird vom Projekt zum Dauerauftrag.
  • Phase 4: Stresstests & kontinuierliche Optimierung. Ein resilientes System ist nie „fertig“. In dieser Phase werden regelmäßig Krisen simuliert und Stresstests durchgeführt. Wie reagiert unser Netzwerk, wenn ein großer Produzent ausfällt? Funktionieren die Kommunikationswege? Die gewonnenen Erkenntnisse fließen direkt in die Optimierung der Prozesse ein. Ein gutes Beispiel ist die Nutzung von Echtzeitdaten, wie sie in Berlin zur Überwachung kritischer Infrastrukturen wie Abwassersystemen eingesetzt werden, um proaktiv Schwachstellen zu erkennen und zu beheben.

Dieses Vorgehen stellt sicher, dass der Aufbau von Versorgungssicherheit nicht im Sande verläuft, sondern zu einem nachhaltigen und messbaren Ergebnis führt.

Wie Sie resiliente Wirtschaftsstrukturen entwickeln, die Rezessionen zu 70% besser überstehen?

Versorgungssicherheit und wirtschaftliche Resilienz sind zwei Seiten derselben Medaille. Eine Region, die ihre Versorgung auf wenige, fragile Säulen stützt, ist nicht nur anfällig für Lieferengpässe, sondern auch für wirtschaftliche Schocks. Der Aufbau resilienter Wirtschaftsstrukturen ist daher keine Ergänzung, sondern eine zwingende Voraussetzung für nachhaltige Versorgungssicherheit. Der Schlüssel dazu liegt in einem Wort: Diversifizierung. Eine diversifizierte lokale Wirtschaft, die auf mehreren Standbeinen steht, kann externe Schocks wie eine Rezession deutlich besser abfedern.

Das Prinzip ist einfach: Wenn eine Branche (z.B. die Automobilzulieferindustrie) in einer Krise einbricht, können andere, unabhängige Sektoren (z.B. lokale Lebensmittelverarbeitung, Handwerk, Gesundheitsdienstleistungen, erneuerbare Energien) die Verluste teilweise kompensieren und die wirtschaftliche Gesamtstabilität aufrechterhalten. Es geht darum, ein Portfolio an lokalen Wirtschaftsclustern aufzubauen, anstatt alles auf eine Karte zu setzen.

Ein hervorragendes Beispiel für diesen Ansatz ist die Stadt Haßfurt in Bayern. Durch die gezielte Förderung eines breiten Spektrums an erneuerbaren Energiequellen – von Wind und Sonne bis hin zu Biomasse – hat die Stadt ihr lokales Energiesystem diversifiziert. Wie die Experten vom Smart City Dialog betonen, erhöht diese Vielfalt nicht nur die Versorgungssicherheit bei Teilausfällen, sondern schafft auch eine robuste, lokale Wirtschaftsstruktur mit Arbeitsplätzen in verschiedenen technologischen Nischen. Dieses Modell lässt sich von der Energie auf andere Sektoren übertragen: Statt nur auf einen großen Industriebetrieb zu setzen, fördert eine resiliente Kommune gezielt ein Nebeneinander von Hightech-Start-ups, modernem Handwerk und einer starken Agrar- und Ernährungswirtschaft.

Konkret bedeutet das für die kommunale Wirtschaftsförderung, den Fokus zu verschieben. Statt nur auf die Ansiedlung des nächsten „großen Fisches“ zu hoffen, geht es darum, das bestehende ökonomische Biotop zu pflegen und zu bereichern. Das bedeutet, gezielt kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in unterschiedlichen Branchen zu unterstützen, die Vernetzung zwischen ihnen zu fördern und die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft zu verankern, um Wertschöpfung in der Region zu halten.

Wie Sie Ihr Geschäftsmodell auf Modulbauweise umstellen – für maximale Anpassungsfähigkeit?

In einer Welt permanenter Veränderung ist Starrheit tödlich. Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für kommunale Verwaltungs- und Versorgungsstrukturen. Der traditionelle Ansatz starrer Ämter und langfristig festgelegter Prozesse ist zu langsam, um auf schnelle Krisen adäquat zu reagieren. Die Lösung liegt in einem Paradigmenwechsel: der Umstellung auf modulare Geschäfts- und Governancemodelle. Ein modulares System besteht aus unabhängigen, aber kompatiblen Bausteinen, die je nach Bedarf schnell neu kombiniert werden können.

Übertragen auf eine Kommune bedeutet dies, Versorgungs- und Verwaltungsaufgaben in flexible, dezentrale Einheiten zu zerlegen. Anstatt einer großen, zentralen Lösung setzt man auf viele kleine, vernetzte Module. Dies erhöht nicht nur die Anpassungsfähigkeit, sondern auch die Resilienz, da der Ausfall eines Moduls nicht das gesamte System gefährdet. Folgende Strategien sind konkrete Beispiele für diesen Ansatz:

  • Kommune als Betreiber modularer Produktions-Hubs: Statt eine riesige Fabrik zu planen, investiert die Kommune in mobile, containerbasierte Produktionseinheiten. Beispiele sind Food-Processing-Container zur Verarbeitung lokaler Ernten, mobile Molkereien oder dezentrale „FabLabs“ mit 3D-Druckern, die je nach Bedarf an verschiedenen Orten in der Gemeinde eingesetzt werden können.
  • Governance in Modulbauweise: Lösen Sie starre Ämterstrukturen für Krisenaufgaben auf. Bilden Sie stattdessen agile, interdisziplinäre „Mission-Teams“ (Module), die für eine spezifische Aufgabe (z.B. „Sicherung der Medikamentenversorgung“) verantwortlich sind und sich nach Erledigung der Aufgabe wieder auflösen.
  • „Product-as-a-Service“ für kritische Güter: Die Kommune muss nicht alles selbst besitzen. Sie kann Verträge mit Dienstleistern schließen, die kritische Güter (z.B. Wasseraufbereitungsanlagen, Notstromaggregate) in modularen Containern vorhalten und im Krisenfall sofort bereitstellen. Die Kommune zahlt für die garantierte Verfügbarkeit (Service), nicht für den Besitz.
  • Förderung modularer Weiterbildungsprogramme: Auch die Qualifikation der Fachkräfte muss modular werden. Fördern Sie kurze, zertifizierte Weiterbildungsmodule, die es Arbeitskräften ermöglichen, schnell neue Kompetenzen zu erwerben und flexibel zwischen verschiedenen Aufgaben und Branchen zu wechseln.

Ein praktisches Beispiel für diesen modularen und kreislauforientierten Denkansatz ist das Projekt „Circular.Health“ in Solingen. Hier wird die Beschaffung im Gesundheitswesen modular und nach Prinzipien der Kreislaufwirtschaft neu gedacht, um die Abhängigkeit von Einwegprodukten zu reduzieren und die lokale Wertschöpfung zu stärken. Es zeigt, wie modulare Prinzipien auch in hochregulierten Bereichen umgesetzt werden können.

Das Wichtigste in Kürze

  • Echte Versorgungssicherheit ist kein Plan in der Schublade, sondern ein aktiv gemanagtes, regionales Resilienz-Ökosystem.
  • Der entscheidende Hebel ist die wirtschaftliche Aktivierung lokaler Produzenten durch langfristige Abnahmegarantien und intelligente Finanzierungsmodelle.
  • Die beste Strategie kombiniert gezielte Eigenproduktion für hochkritische Güter mit flexiblen, regionalen Kooperationen zur Risikostreuung.

Wie Regionen nachhaltiges Wirtschaftswachstum erzielen – ohne sich neuen Risiken auszusetzen?

Die größte Gefahr bei der Neuausrichtung der Wirtschafts- und Versorgungsstrukturen ist, alte Abhängigkeiten einfach durch neue zu ersetzen. Ein blinder Fokus auf regionale Produktion kann zu ineffizienten Monostrukturen führen, die ihrerseits wieder anfällig sind. Nachhaltiges Wirtschaftswachstum in einer unsicheren Welt erfordert daher einen intelligenteren Ansatz: die Entkopplung von Wachstum und Risiko. Dies gelingt, indem man auf Modelle setzt, die Wertschöpfung durch Wissen, Effizienz und Kreisläufe generieren, anstatt durch reinen Ressourcenverbrauch und Exportabhängigkeit.

Wie das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und das BBSR in einer Forschung zur Kreislaufwirtschaft betonen, liegt hier ein doppelter Gewinn:

Neben einem Beitrag zur Ressourcenschonung können regional vorhandene Potenziale besser genutzt werden, um die wirtschaftliche Resilienz zu erhöhen.

– BMWSB/BBSR, Forschung zur Kreislaufwirtschaft in ländlichen Regionen

Es geht also nicht darum, weniger zu wachsen, sondern anders und besser. Nicht jedes Wachstumsmodell ist gleich riskant. Die folgende Übersicht zeigt, welche Modelle Resilienz fördern und welche neue Risiken schaffen.

Wachstumsmodelle und ihre Risikoexposition
Wachstumsmodell Risikoexposition Resilienzfaktor
Entkoppeltes Kreislaufwachstum Niedrig Sehr hoch
Wissens-Export Niedrig Hoch
Regenerative Wertschöpfung Niedrig-Mittel Hoch
Traditionelles Exportwachstum Hoch Niedrig

Das Ziel für eine resiliente Region muss es sein, sich auf der Skala nach oben zu bewegen. Traditionelles Exportwachstum, das auf dem Verkauf physischer Güter in volatile Weltmärkte basiert, birgt die höchsten Risiken. Weit überlegen sind Modelle wie der Wissens-Export (Verkauf von Lizenzen, Patenten, Beratungsleistungen) oder die regenerative Wertschöpfung (z.B. nachhaltiger Tourismus, ökologische Landwirtschaft). Die Königsdisziplin ist das entkoppelte Kreislaufwachstum. Hier entsteht Wertschöpfung, indem Ressourcen innerhalb der Region immer wieder neu genutzt, repariert und aufgewertet werden. Dieses Modell minimiert die Abhängigkeit von externen Rohstoff- und Absatzmärkten und ist damit inhärent am resilientesten.

Für Kommunen bedeutet dies, ihre Wirtschaftsförderung neu auszurichten: weg von der reinen Ansiedlung von Produktionsstätten, hin zur Förderung von Innovation, wissensbasierten Dienstleistungen und geschlossenen materiellen Kreisläufen. Dies ist der Weg zu einem Wachstum, das nicht nur ökonomisch, sondern auch strukturell nachhaltig ist.

Beginnen Sie jetzt damit, die Weichen für eine krisenfeste und prosperierende Region zu stellen. Analysieren Sie Ihre lokalen Abhängigkeiten und initiieren Sie das Gespräch mit potenziellen Partnern – der erste Schritt zu Ihrem Resilienz-Ökosystem.

Geschrieben von Stefan Müller, Stefan Müller ist Diplom-Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt internationale Logistik und seit 15 Jahren in der strategischen Beratung für globale Lieferketten tätig. Er ist zertifizierter Supply Chain Professional (CSCP) und berät aktuell mittelständische Produktionsunternehmen bei der Risikominimierung in ihren Beschaffungsnetzwerken.