Veröffentlicht am März 11, 2024

Die meisten Digitalisierungsprojekte scheitern nicht an der falschen Technologie, sondern weil sie die ‚organisatorische Schuld‘ ignorieren – die über Jahre gewachsene Trennung von Geschäftslogik und IT.

  • Erfolgreiche Transformation fokussiert nicht auf Tools, sondern auf den Umbau des Betriebsmodells, um Technologie als Werttreiber zu verankern.
  • Die entscheidende Fähigkeit ist nicht technisches Wissen, sondern die Kompetenz, die Kluft zwischen Fachabteilungen und IT mit crossfunktionalen Teams zu überbrücken.

Empfehlung: Beginnen Sie nicht mit der Tool-Auswahl, sondern mit der Analyse Ihrer Wertströme, um Engpässe und organisatorische Silos aufzudecken.

Als Geschäftsführer oder CDO eines etablierten Unternehmens stehen Sie unter massivem Druck: Sie müssen digitalisieren. Sie lesen von agilen Methoden, Cloud-Infrastruktur und Customer Centricity. Doch trotz hoher Investitionen und ambitionierter Projekte versanden viele Initiativen, frustrieren die Mitarbeiter und liefern nicht den erwarteten ROI. Man hat Ihnen gesagt, Sie bräuchten „digitale Skills“, doch das bloße Einstellen von Datenanalysten oder Scrum Mastern scheint das Kernproblem nicht zu lösen. Die Enttäuschung wächst und die Kluft zwischen den glänzenden Versprechungen der Berater und Ihrer Unternehmensrealität wird immer größer.

Die Wahrheit ist, dass die meisten Digitalisierungs-Checklisten den entscheidenden Punkt übersehen. Es geht nicht primär darum, neue Technologien einzuführen. Es geht darum, eine über Jahrzehnte gewachsene „organisatorische Schuld“ abzubauen: die starre Trennung zwischen dem Geschäft, das Werte schafft, und der IT, die als unterstützende Kostenstelle gesehen wird. Solange diese Kluft besteht, wird jede neue Software, jede Cloud-Lösung nur ein teures Pflaster auf einer strukturellen Wunde sein. Die eigentliche Frage lautet also nicht: „Welche Technologie brauchen wir?“, sondern: „Wie müssen wir unser Betriebsmodell umbauen, damit Technologie ihre Wirkung entfalten kann?“

Dieser Artikel bricht mit den üblichen Buzzwords. Basierend auf der Erfahrung aus zahlreichen Transformationsprojekten zeige ich Ihnen, warum der Fokus auf die Organisation statt auf die Technologie der einzige Weg zum Erfolg ist. Wir werden die wahren Ursachen des Scheiterns analysieren, eine praxiserprobte Roadmap entwickeln und aufzeigen, wie Sie die entscheidende Lücke zwischen Business und IT schließen. Es geht darum, die Fähigkeiten zu entwickeln, die Ihr Unternehmen wirklich braucht, um nicht nur zu digitalisieren, sondern sich fundamental zu transformieren.

Um Ihnen eine klare Struktur für diesen tiefgreifenden Wandel zu bieten, beleuchtet dieser Artikel die zentralen Handlungsfelder. Der folgende Überblick führt Sie durch die strategischen Schritte – vom Verstehen der Fehlerquellen bis zum Umbau Ihres Geschäftsmodells.

Warum die meisten Digitalisierungsprojekte scheitern – und es nicht an der Technologie liegt

In den Führungsetagen herrscht oft die Annahme, die digitale Transformation sei primär eine technologische Herausforderung. Man investiert in neue CRM-Systeme, ERP-Lösungen oder Cloud-Plattformen und erwartet, dass sich der Erfolg von selbst einstellt. Doch die Realität zeichnet ein anderes Bild. Das eigentliche Hindernis ist nicht die Technik, sondern die Organisation selbst. Eine aktuelle Studie bestätigt diesen Befund aus der Praxis: Über 73 % der Unternehmen sehen kulturelle Widerstände und festgefahrene Prozesse als größte Hürde.

Dieses Phänomen bezeichne ich als organisatorische Schuld. Ähnlich wie technische Schuld in der Softwareentwicklung beschreibt sie die Summe aller Kompromisse und suboptimalen Entscheidungen der Vergangenheit, die heute den Wandel blockieren. Dazu gehören starre Abteilungssilos, eine Budgetlogik, die die IT als reine Kostenstelle behandelt, und eine Führungskultur, die Fehler bestraft, statt aus ihnen zu lernen. Anstatt also nur Symptome mit neuer Software zu behandeln, müssen Sie diese tief verwurzelten Schulden abbauen.

Ein Paradebeispiel für die Überwindung dieser Schuld ist Netflix. Die Transformation vom DVD-Versand zum globalen Streaming-Giganten war kein reines Technologieprojekt. Es war eine radikale Neuausrichtung des gesamten Betriebsmodells. Anstatt DVDs effizienter zu versenden, stellte man die Frage: „Wie liefern wir Unterhaltung im digitalen Zeitalter am besten?“ Die Antwort führte zu einem datengesteuerten Modell, bei dem Nutzerdaten nicht nur zur Personalisierung, sondern zur Steuerung der gesamten Content-Produktion genutzt wurden. Der Erfolg von Netflix ist das Ergebnis eines fundamentalen organisatorischen Wandels, nicht nur einer technologischen Implementierung.

Wie Sie eine digitale Roadmap erstellen, die Ihre Mitarbeiter mitnimmt statt überfordert

Eine der größten Gefahren der Digitalisierung ist eine von oben verordnete „Top-Down“-Roadmap, die den Mitarbeitern ohne Kontext und Mitspracherecht vorgesetzt wird. Solche Pläne konzentrieren sich meist auf die Einführung von Tools und die Einhaltung strikter Deadlines, erzeugen aber oft Widerstand und Verunsicherung. Es überrascht daher nicht, dass laut der Digitalisierungsstudie 2024 nur 38 % der KMUs über eine ausgearbeitete Digitalisierungsstrategie verfügen, die diesen Namen verdient. Eine erfolgreiche Roadmap ist kein Projektplan, sondern ein Kommunikationsinstrument, das eine gemeinsame Vision schafft.

Der Schlüssel liegt in einem partizipativen Ansatz. Anstatt Features vorzugeben, definieren Sie gemeinsam mit den Teams die **Fähigkeiten**, die das Unternehmen in Zukunft benötigt. Die Frage lautet nicht: „Welches CRM-Tool führen wir bis Q3 ein?“, sondern: „Wie schaffen wir es, in sechs Monaten eine 360-Grad-Sicht auf unsere Kunden zu haben, und welche Schritte bringen uns dorthin?“ Dieser Fokus auf den Nutzen statt auf das Werkzeug gibt den Teams die Autonomie, eigene Meilensteine und Lösungen zu definieren. So wird die Roadmap zu einem lebendigen Dokument, das von denjenigen gestaltet wird, die es am Ende umsetzen müssen.

Diverse Mitarbeitergruppe entwickelt gemeinsam digitale Roadmap an interaktiver Wand

Die folgende Gegenüberstellung verdeutlicht, warum der partizipative Ansatz einem rein direktiven Vorgehen überlegen ist. Er fördert Eigenverantwortung und stellt sicher, dass die Transformation an den realen Bedürfnissen des Geschäfts ausgerichtet ist, wie eine Analyse erfolgreicher Transformationsprozesse zeigt.

Top-Down vs. Partizipative Roadmap
Ansatz Top-Down Roadmap Partizipative Roadmap
Verantwortung Management definiert alle Schritte Teams definieren eigene Meilensteine
Kommunikation Features und Tools Fähigkeiten und Nutzen
Zeitplanung Strikte Deadlines Lern-Sprints integriert
Mitarbeiter-Buy-in Oft Widerstand Hohe Eigenverantwortung

Dieser Ansatz macht aus Betroffenen Beteiligte und verwandelt abstrakte Ziele in konkrete, motivierende Aufgaben. Die Mitarbeiter werden zu Gestaltern des Wandels, anstatt sich von ihm überrollt zu fühlen.

Big-Bang-Digitalisierung oder schrittweise Transformation – welcher Ansatz gefährdet Ihr Geschäft weniger?

Viele Führungskräfte stehen vor einem strategischen Dilemma: Soll man die Digitalisierung in einem großen Rundumschlag („Big Bang“) angehen oder sich in kleinen, iterativen Schritten vorantasten? Der Big-Bang-Ansatz verspricht eine schnelle Transformation, birgt aber immense Risiken. Fällt das neue System aus, steht das gesamte Geschäft still. Eine schrittweise Transformation hingegen minimiert das Risiko, kann aber zu langsam sein, um im Wettbewerb zu bestehen, und droht, in endlosen Pilotprojekten zu versanden.

Die Erfahrung zeigt, dass keine der beiden Extreme ideal ist. Ein weitaus erfolgreicherer Weg ist eine bimodale Strategie oder ein Portfolio-Ansatz, wie ihn Konzerne wie Siemens erfolgreich praktizieren. Anstatt alles auf eine Karte zu setzen, wird das Investitionsbudget strategisch aufgeteilt. Siemens investierte beispielsweise nach einem klaren Schlüssel: 70 % des Budgets flossen in die Optimierung und Digitalisierung des Kerngeschäfts (operative Effizienz), 20 % in die Erprobung neuer, aber bereits etablierter Technologien (z. B. IoT-Plattformen) und 10 % in radikale, experimentelle Projekte mit hohem Risiko, aber auch hohem Potenzial.

Dieser Portfolio-Ansatz hat entscheidende Vorteile. Erstens sichert er das laufende Geschäft ab und sorgt durch die 70-%-Investition für kontinuierliche Cashflows. Zweitens ermöglicht er durch die 20-%- und 10-%-Anteile kontrolliertes Lernen und Innovieren, ohne das Unternehmen als Ganzes zu gefährden. Es erlaubt, mehrere Wetten gleichzeitig zu platzieren und die erfolgversprechendsten Initiativen schrittweise hochzuskalieren. Anstatt einer „Alles-oder-Nichts“-Entscheidung managen Sie ein ausbalanciertes Portfolio an Zukunftsinitiativen. Diese Strategie schützt nicht nur vor katastrophalen Fehlschlägen, sondern etabliert auch eine Kultur der Agilität und des kalkulierten Risikos im gesamten Unternehmen.

Die unterschätzte Lücke zwischen IT-Kompetenz und Geschäftsverständnis, die 65 % der Projekte scheitern lässt

Die tiefste Kluft in traditionellen Unternehmen verläuft nicht zwischen analog und digital, sondern zwischen der IT-Abteilung und den Fachabteilungen. Die IT denkt in Systemen, Architekturen und Tickets. Der Vertrieb, das Marketing oder die Produktion denken in Kundenproblemen, Prozessen und Umsatzzielen. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen und verfolgen unterschiedliche KPIs. Diese Kommunikationslücke ist der Hauptgrund für gescheiterte Projekte. Eine Umfrage unter deutschen KMU ergab, dass 62 % von Konflikten zwischen IT und Fachabteilungen berichten.

Die Lösung liegt nicht darin, die IT-Abteilung zu zwingen, „business-orientierter“ zu denken, oder vom Vertrieb zu verlangen, technische Spezifikationen zu schreiben. Die Lösung ist, die starren Abteilungsgrenzen aufzulösen. Die wirksamste Methode hierfür ist die Einführung von crossfunktionalen Wertstrom-Teams (Value Stream Teams). Anstatt Projekte von einer Abteilung zur nächsten zu übergeben (Vertrieb -> IT -> Betrieb), wird ein festes Team gebildet, das die Verantwortung für einen gesamten Kundenwertstrom übernimmt – zum Beispiel von der ersten Kundenanfrage bis zur Auslieferung des Produkts.

In diesen Teams arbeiten IT-Experten, Vertriebsmitarbeiter, Marketing-Spezialisten und Produktioner permanent zusammen. Sie haben ein gemeinsames Ziel: die Optimierung ihres Wertstroms. Eine entscheidende Rolle kommt dabei dem „Business Translator“ zu. Diese Person muss kein Technik-Guru sein, aber sie muss beide Welten verstehen und fließend zwischen den Anforderungen des Geschäfts und den Möglichkeiten der Technologie vermitteln können. Durch diese Struktur wird die „organisatorische Schuld“ aktiv abgebaut und Technologie endlich zu einem integralen Bestandteil der Wertschöpfung.

Ihr Aktionsplan: Value Stream Teams erfolgreich einführen

  1. Wertstrom identifizieren: Wählen Sie einen konkreten, überschaubaren Kundenwert-Strom aus, z. B. den Prozess von der Bestellung bis zur finalen Lieferung.
  2. Crossfunktionales Team bilden: Stellen Sie ein festes Team aus Mitgliedern aller beteiligten Abteilungen (IT, Vertrieb, Logistik, Produktion) zusammen, das end-to-end für diesen Strom verantwortlich ist.
  3. „Business Translator“ etablieren: Benennen Sie eine Person im Team, deren Hauptaufgabe die permanente Vermittlung zwischen den technischen und geschäftlichen Anforderungen ist.
  4. Reverse Mentoring implementieren: Lassen Sie Junior-IT-Mitarbeiter gezielt Senior-Manager aus den Fachbereichen coachen, um das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen Arbeitswelten zu fördern.
  5. Erfolg neu definieren: Messen Sie den Erfolg des Teams nicht an internen Abteilungszielen (z. B. Anzahl geschlossener Tickets), sondern ausschließlich am geschaffenen Kundenwert (z. B. verkürzte Lieferzeit, höhere Kundenzufriedenheit).

In welcher Reihenfolge Sie digitalisieren sollten – die 5 Phasen vom Quick Win zum Plattform-Umbau

Viele Unternehmen beginnen ihre Digitalisierung an der falschen Stelle: mit kundennahen Apps oder neuen Webseiten. Doch wenn die internen Prozesse und Datenstrukturen veraltet sind, ist eine glänzende Fassade nutzlos. Eine Studie zeigt, dass 52 % der Unternehmen ihre Digitalisierungsprojekte nicht systematisch priorisieren, was zu Aktionismus und verschwendeten Ressourcen führt. Eine logische Reihenfolge ist entscheidend für nachhaltigen Erfolg.

Die Transformation sollte von innen nach außen erfolgen. Jede erfolgreiche digitale Interaktion basiert auf sauberen Daten und effizienten Prozessen. Die richtige Sequenz schützt vor Fehlinvestitionen und baut schrittweise die Fähigkeiten auf, die für komplexere Vorhaben nötig sind.

Makroaufnahme von Datenströmen die sich zu einem soliden Fundament formen

Eine bewährte Abfolge gliedert sich in fünf Phasen:

  1. Phase 1: Das Datenfundament schaffen. Bevor Sie über KI oder personalisierte Kundenerlebnisse nachdenken, müssen Ihre Kerndaten (Kunden-, Produkt-, Prozessdaten) sauber, zentralisiert und zugänglich sein. Dies ist die unglamouröse, aber absolut kritische Basis für alles Weitere.
  2. Phase 2: Interne Prozesse digitalisieren. Automatisieren Sie wiederkehrende manuelle Abläufe in der Verwaltung, Produktion oder Logistik. Hier lassen sich schnell Effizienzgewinne (Quick Wins) erzielen, die freie Ressourcen für strategischere Aufgaben schaffen.
  3. Phase 3: Kundenschnittstellen modernisieren. Erst jetzt, mit einem stabilen internen Fundament, widmen Sie sich der „Customer Experience“. Entwickeln Sie intuitive Webseiten, Self-Service-Portale oder Apps, die auf die sauberen Daten und Prozesse aus Phase 1 und 2 zugreifen.
  4. Phase 4: Produkte und Dienstleistungen digital anreichern. Erweitern Sie Ihr physisches Angebot um digitale Services. Das kann von einer App zur Steuerung Ihres Produkts bis hin zu vorausschauender Wartung (Predictive Maintenance) auf Basis von Sensordaten reichen.
  5. Phase 5: Das Geschäftsmodell zur Plattform entwickeln. In der höchsten Ausbaustufe öffnen Sie Ihre Systeme über APIs und ermöglichen Dritten, auf Ihrer Plattform neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Sie werden vom Produkthersteller zum Ökosystem-Orchestrator.

Diese Reihenfolge ist kein Dogma, aber sie bietet eine strategische Leitplanke, um die Komplexität zu managen und sicherzustellen, dass jede Investition auf der vorherigen aufbaut.

Wie Konzerne die Innovationskraft von Start-ups nutzen können – ohne sie zu ersticken

Die Zusammenarbeit mit Start-ups scheint für viele Konzerne eine Abkürzung zur Innovation zu sein. Doch die Realität ist oft ernüchternd: Durch langwierige Compliance-Prozesse, rigide Einkaufsbedingungen und den Versuch, das Start-up in die eigene Konzernstruktur zu pressen, wird dessen größte Stärke – die Agilität – zerstört. Die Akquisition eines Start-ups führt häufig dazu, dass die besten Talente frustriert kündigen und die Innovationskraft versiegt.

Ein smarterer Ansatz ist der Wandel vom „Corporate Investor“ zum „Corporate Venture Client“. Anstatt das Start-up zu kaufen, wird der Konzern zu dessen erstem, anspruchsvollsten Kunden. Er bezahlt für die Entwicklung einer konkreten Lösung, gibt wertvolles Feedback aus der Praxis und hilft dem Start-up, sein Produkt zur Marktreife zu bringen. Das Start-up behält seine Unabhängigkeit, während der Konzern Zugang zu maßgeschneiderter Innovation erhält – eine Win-Win-Situation.

Eine noch reifere Form der Zusammenarbeit ist das API-als-Produkt-Modell. Anstatt einzelne Start-ups zu integrieren, transformiert sich der Konzern selbst in eine offene Plattform. Er stellt seine Kernsysteme, Daten und Prozesse über sichere Programmierschnittstellen (APIs) zur Verfügung und schafft so ein Ökosystem, in dem externe Entwickler und Start-ups völlig neue Services und Geschäftsmodelle entwickeln können. YouTube ist ein Paradebeispiel: Die Plattform stellte ihre Infrastruktur zur Verfügung und ermöglichte es so Millionen von Content-Creators, eigene Unternehmen aufzubauen. Anstatt Innovation intern kontrollieren zu wollen, orchestriert der Konzern die Kreativität eines ganzen Netzwerks. Dies erfordert ein radikales Umdenken: vom Bewahrer geschlossener Systeme zum Ermöglicher offener Ökosysteme.

Wie Sie Ihr Geschäftsmodell auf Modulbauweise umstellen – für maximale Anpassungsfähigkeit

Traditionelle Geschäftsmodelle sind oft monolithisch: Ein Produkt, ein Preis, ein Vertriebsweg. In einer dynamischen Welt ist diese Starrheit ein fataler Nachteil. Die Fähigkeit, schnell auf neue Kundenbedürfnisse oder Marktveränderungen zu reagieren, hängt davon ab, wie modular Ihr Geschäftsmodell aufgebaut ist. Modularität bedeutet, Ihr Angebot in kleinere, unabhängige Bausteine zu zerlegen, die flexibel neu kombiniert werden können.

Ein Meister dieser Disziplin ist Adobe. Früher verkaufte das Unternehmen seine Creative Suite als teures Softwarepaket mit einer Einmallizenz. Diese monolithische Struktur machte Preisanpassungen oder die Einführung neuer Produktkombinationen extrem schwerfällig. Mit dem Übergang zur Creative Cloud wurde nicht nur die Software modularisiert (Photoshop, Illustrator etc. als einzelne Apps), sondern vor allem das Geschäftsmodell. Durch flexible Abonnement-Modelle ( einzelne App, Fotografie-Paket, komplette Suite) konnte Adobe auf unterschiedlichste Kundensegmente – vom Hobby-Fotografen bis zur Großagentur – passgenau eingehen. Der Wert wurde vom Preis entkoppelt. Diese Modularisierung ermöglichte es, das Angebot ständig anzupassen, ohne die grundlegende Produktarchitektur jedes Mal umbauen zu müssen.

Dabei geht es nicht nur um die Modularisierung des Produkts, sondern des gesamten Betriebsmodells. Wie Gartner Research treffend formuliert, ist der entscheidende Schritt die Entwicklung eines „Composable Enterprise“.

Modularisieren Sie nicht nur, was Sie verkaufen, sondern wie Sie es erstellen.

– Gartner Research, Composable Enterprise Framework

Das bedeutet, auch Ihre internen Prozesse, Datenquellen und technologischen Fähigkeiten als wiederverwendbare „Services“ zu betrachten. Nur so schaffen Sie die organisatorische Flexibilität, um neue Geschäftsmodelle schnell zu testen und zu skalieren. Es ist die technische und organisatorische Grundlage für echte strategische Agilität.

Das Wichtigste in Kürze

  • Digitale Transformation ist primär eine organisatorische, keine technologische Herausforderung. Der Fokus muss auf dem Abbau der „organisatorischen Schuld“ liegen.
  • Die größte Hürde ist die Kluft zwischen IT und Fachabteilungen. Crossfunktionale Wertstrom-Teams sind die effektivste Lösung, um diese zu überbrücken.
  • Eine erfolgreiche Transformation erfolgt von innen nach außen: Zuerst das Datenfundament, dann die Prozesse und erst danach die Kundenschnittstellen.

Wie Sie Ihr Geschäftsmodell in 90 Tagen umbauen können – ohne bestehende Kunden zu verlieren

Der Umbau des Kerngeschäftsmodells ist die Königsdisziplin der Transformation – und die riskanteste. Die Angst, das laufende Geschäft zu stören und loyale Bestandskunden zu verprellen, lähmt viele Unternehmen. Doch der Markt wartet nicht. Laut einer Kienbaum-Studie entwickeln bereits 50 % der Unternehmen aktiv neue, digitale Geschäftsmodelle. Zögern ist keine Option. Die Lösung liegt darin, radikale Innovation zu ermöglichen, ohne das Kerngeschäft zu kannibalisieren.

Eine bewährte Methode hierfür ist die Spin-Off/Spin-In-Strategie. Anstatt zu versuchen, eine radikal neue Idee innerhalb der alten Strukturen und Prozesse durchzusetzen, gründen Sie eine separate, autonome Einheit – ein Spin-Off. Dieses Team agiert wie ein internes Start-up, frei von den Fesseln der Konzern-Bürokratie. Es kann schnell ein neues Geschäftsmodell entwickeln, am Markt testen und agil anpassen. Die Kernmarke bleibt dabei geschützt. Beweist das neue Modell seinen Erfolg und erreicht eine gewisse Reife, wird es gezielt wieder in die Kernorganisation integriert (Spin-In). Siemens hat diese Strategie erfolgreich genutzt, um digitale Geschäftsfelder wie IoT-Services aufzubauen, ohne das traditionelle Industriegeschäft zu destabilisieren.

Eine weitere, noch schnellere Methode ist die Co-Creation mit loyalen Kunden. Identifizieren Sie eine kleine Gruppe Ihrer besten Kunden und entwickeln Sie gemeinsam mit ihnen innerhalb von 90 Tagen ein Minimal Viable Product (MVP) für ein neues Angebot. Diese Partner agieren als Sparringspartner, Beta-Tester und erste Botschafter. Dieser Ansatz minimiert das Risiko eines Flops, da das Modell von Anfang an validiert wird, und stärkt gleichzeitig die Kundenbindung. Sie transformieren Ihr Geschäft nicht gegen, sondern mit Ihren Kunden.

Der Weg ist klar: Beginnen Sie nicht mit der Suche nach der neuesten Technologie, sondern mit einer ehrlichen Analyse Ihres eigenen Betriebsmodells. Identifizieren Sie die organisatorischen Schulden, die Ihr Unternehmen ausbremsen, und bauen Sie die Brücken zwischen Ihren Abteilungen. Der erste Schritt zur Meisterung der digitalen Transformation ist die Erkenntnis, dass die entscheidenden Fähigkeiten in Ihrer Organisation und bei Ihren Leuten liegen, nicht in der Cloud.

Häufige Fragen zur digitalen Transformation

Was ist der Unterschied zwischen Akquisition und Corporate Venture Client?

Bei einer Akquisition kauft der Konzern das Start-up komplett auf. Als Corporate Venture Client wird der Konzern zum ersten, anspruchsvollen Kunden und steuert die Produktentwicklung mit echtem Geld und Feedback, ohne die Unabhängigkeit zu zerstören.

Wie schützt man die Start-up-Kultur in einem Konzern?

Durch eine autonome Governance-Struktur: Das Start-up berichtet an ein unabhängiges Board, nicht an einen Linienmanager. Amazons Zwei-Pizza-Regel ist nur ein Symptom – der echte Schutz ist organisatorische Autonomie.

Welche Alternative gibt es zur direkten Integration?

Das API-als-Produkt-Modell: Der Konzern wird zur Plattform und lässt Start-ups über offene Schnittstellen neue Services entwickeln, ohne sie zu integrieren.

Geschrieben von Michael Hoffmann, Michael Hoffmann ist Diplom-Pädagoge und zertifizierter Karriereberater mit 13 Jahren Erfahrung in der beruflichen Orientierung und Weiterbildungsberatung. Er leitet aktuell eine Beratungsagentur für Karrierewechsel und digitale Kompetenzentwicklung und ist spezialisiert auf Transformationsberufe und lebenslanges Lernen.